Interview mit Susanne Gillner über Digitalisierung, Datenschutz und den Onlinehandel der Zukunft

Im neuen Podcast-Interview hatte Ronny Marx wieder einen spannenden Gast: Susanne Gillner. Sie ist Chefredakteurin der Internetworld. Die Internetworld ist eine bekannte und beliebte Fachzeitschrift über wichtige sowie die aktuellsten E-Commerce und Marketing-Themen. Auch Susanne ist dementsprechend Profi im Bereich Digitalmarketing. Ihr Schwerpunkt bei der Arbeit beim Magazin liegt im Online-Bereich. Im Podcast lässt sie uns an ihrer Erfahrung und ihrem umfangreichen Fachwissen teilhaben.

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Wie entwickelt sich der Markt in der Digitalbranche? Gibt es Dauertrends?

In der Digitalbranche muss man in jedem Fall immer am Puls der Branche sein. Das ist im Online-Marketing natürlich besonders schwierig, da die Branche mittlerweile riesig ist. Trotzdem gibt es aktuelle Dauertrends im E-Commerce, die jeder im Blick haben sollte. Dauertrend ist zum Beispiel eine optimale Kanalverknüpfung sowie das Seamless Commerce. Seamless Commerce meint eine nahtlose Customer Experience über alle Kanäle hinweg.

Insbesondere im Handel sind auch Voice Marketing, künstliche Intelligenz, Personalisierung sowie Smart Bidding-Strategien derzeit hoch relevant. Auch Themen wie Third-Party-Cookies im Hinblick auf Werbung und Datenschutz werden zunehmend wichtiger.

Für das Jahr 2020 lässt sich allerdings ein „Trend“ ganz eindeutig ausmachen: Die Corona-Pandemie. Die immensen Auswirkungen und Veränderungen prägten die Digitalbranche und alle Marktteilnehmenden mussten sich auf komplett neu einstellen und anpassen.

Zudem wurde die E-Privacy Verordnung erst vor kurzem aktualisiert.

Ist die E-Privacy Verordnung eine sinnvolle Erweiterung der DSGVO?

Mit der E-Privacy Verordnung hat sich einiges geändert, da man nun auf Websites einige Entscheidungen mehr treffen kann bzw. muss. Anstelle einer Opt-Out Lösung, gibt es nun die Opt-In Lösung für Cookies und der Nutzer kann beliebig viele Häkchen setzen, wo er seine Daten preisgeben möchte. Als Ausgangssituation sind nicht mehr alle Cookies automatisch gesetzt, sondern nur die notwendigen.

Um den Nutzen der neuen E-Privacy Verordnung bewerten zu können, muss man verschiedene Perspektiven einnehmen. Dafür ist Susanne Gillner die perfekte Ansprechpartnerin, da sie sowohl die Perspektive einer Privatnutzerin als auch die Unternehmenssicht kennt. Sie meint, dass das grundlegende Problem bei der Datenschutzdebatte immer ist, dass nie alle Interessen zufrieden zu stellen sind.

Als Privatnutzer ist einem natürlich der Schutz der eigenen Nutzerdaten inklusive Nutzerverhalten extrem wichtig. Cookie-Banner nehmen Nutzern allerdings leider einen großen Teil der Usability. Auch, wenn viele Nutzer denken, sie wissen, wo sie überall Daten von sich zur Verfügung stellen, sieht die Realität meist anders aus. Smartwatches sind hierfür ein Paradebeispiel, bei denen extrem sensible Daten wie Gesundheitsdaten nicht nur für den Nutzer zugänglich sind. Nutzer sind allerdings permanent hin und her gerissen zwischen einem Wunsch nach personalisierter Werbung und dem umfassenden Schutz ihrer Daten. Dabei muss allen bewusst sein, dass es schwer ist hier einen Mittelweg einzuschlagen.

Aus unternehmerischer Sicht sieht Susanne das Ganze allerdings wieder anders. Insbesondere in der Werbebranche sind Nutzerdaten enorm wichtig, um mit personalisierter Werbung den Kunden zu überzeugen. Auch aus ökonomischer Sicht sind Unternehmen auf Nutzerdaten angewiesen.

Gibt es bei Unternehmen noch viel Nachholbedarf beim Datenschutz im digitalen Bereich?

Die Frage ist schwierig zu beantworten, da aufgrund stetiger Änderungen niemand wirklich weiß, was alles exakt zu beachten ist. Einige Unternehmen kümmern sich zu wenig, andere sehen es wiederum viel zu strikt und diskutieren nahezu täglich mit dem Rechtsanwalt.

Auch, wenn Datenschutz ein wichtiges Thema ist, sollten sich Unternehmen nicht nur darauf fokussieren. Viel wichtiger ist meist, einen starken USP aufzubauen. Viele Unternehmensprofile haben einiges an Nachholbedarf und sollten sich neu definieren:

Wer ist mein Unternehmen? Wer soll es sein? Wie kann ich das den Konsumenten vermitteln?

Viele Unternehmen mussten sich aktuell aufgrund der Corona-Pandemie zwangsläufig digitalisieren und es zeichnen sich schon jetzt viele Verlierer ab. Große Warenhäuser wie Kaufhof gehen plötzlich pleite und am Ende steht Amazon als eindeutiger Gewinner des Online-Handels im Fokus.

Corona-Pandemie: Chance oder Gefahr für Retail?

Zunächst wichtig klarzustellen ist, dass Corona auf jeden Fall nicht Schuld daran ist, wenn jemand aus dem stationärem Handel wegbricht. Viele Unternehmen haben einfach den Zeitgeist verpasst und wollten lange nichts von Technik wissen oder sich einen USP aufbauen. Corona hat eine bereits negative Entwicklung in den meisten Fällen lediglich beschleunigt.

Corona kann auf der anderen Seite auch als große Chance betrachtet werden, da endlich das große Feindbild E-Commerce verschwunden ist. Onlinehandel ist nun nicht mehr der Gegner, sondern eine Chance. Man möchte sich gar nicht ausmalen, welche Konsequenzen Corona hätte, wenn es das Internet und den Onlinehandel in den letzten Monaten nicht gegeben hätte.

Aber: Wenn man erst jetzt verstanden hat, dass Onlinehandel wichtig ist, ist es dann nicht schon viel zu spät?

Online war für viele Unternehmen nur eine weitere Schaufensterscheibe. Viele können nicht mehr gerettet werden, wenn sie jetzt erst einen vernünftigen Webshop aufbauen. Andere Unternehmen überzeugen hingegen mit extrem schnellen und guten Digitalisierungsprojekten in kürzester Zeit. Trotzdem werden in vielen Innenstädten riesige Filialen geschlossen, was in einem kleinen Stadtzentrum extrem ins Gewicht fällt. Kaufhof muss schließen und ein gigantischer Gebäudeteil steht von einen auf den anderen Tag leer.

Wie kann man leerstehende Gebäude in Innenstädten am besten nutzen?

Sinnvoll wäre natürlich Gewerbe, Ärzte oder Gastronomie dort zu platzieren, da Modehändler vermutlich in nächster Zeit auch aufgrund hoher Mieten keine Chance haben. Am Ende hat aber niemand eine Patentlösung. Man könnte auch an ein Amazon Live-Warenlager denken. Ganz schön praktisch: Man bestellt etwas und kann es sich direkt herausnehmen. Es handelt sich bei dieser Idee aber selbstverständlich zunächst um eine absolute Utopie-Lösung.

Doch wie kann man sich als Unternehmen nun optimal aufstellen und womit sollte man zu Zeiten der Digitalisierung beginnen?

Webshop, Facebook-Seite oder Amazon – Wo gelingt der beste Start?

Optimal wäre natürlich, alles gleichzeitig aufzubauen. Hierfür fehlen den meisten Unternehmen aber die Ressourcen. Außerdem ist es immer stark davon abhängig, in welcher Branche man tätig ist und welches Produkt man verkauft. Beispielsweise exklusive Handarbeit-Artikel punkten eher über einen Onlineshop als über Amazon direkt. Für eine perfekte Vermarktung und Werbung dient anschließend Social Media. Bei anderen, weniger einzigartigen Produkten sollte man eher direkt auf einem Marktplatz verkaufen. Es ist zu beachten, dass man sich insbesondere bei Amazon in eine starke Abhängigkeit begibt und einen großen Teil seiner Flexibilität aufgeben muss.

Social Commerce ist aktuell das Mittel der Wahl, da sich ein Shop auf Instagram unglaublich lohnt und die Nutzer in ihrer Freizeit direkt abgeholt werden.

Wird Social Shopping dauerhaft Bestand haben?

Auch diese Frage ist wieder stark produktabhängig zu beantworten, auch wenn Social Shopping nie ein Hauptabsatzkanal sein wird. Ein Branding bei Instagram ist aber meist unersetzlich, besonders im Hinblick auf das Erreichen der Zielgruppe. Kurz- und langfristig sollte aber auf verschiedene Kanäle gesetzt werden und keine Mono-Strategie gefahren werden.

Nun noch einmal zurück zum Thema Datenschutz: Ist Social Shopping im Hinblick darauf nicht sehr kritisch zu betrachten?

Könnten die strengen Datenschutzregularien ein Problem für deutsche Online-Shops darstellen?

Deutschland hat mit den vielen aktuellen Einschränkungen einen erheblichen Nachteil im Online-Bereich. Insbesondere personenbezogene Daten sind mittlerweile hoch sensibel. In sozialen Netzen sind Daten heutzutage wie eine Währung. Man kann unglaublich viele tolle Funktionen nutzen und gibt dafür immer einen Teil seiner Privatsphäre offen.

Ein Bewusstsein dafür zu entwickeln ist wichtig, aber auf der anderen Seite bekommt man auch viele Benefits durch die Anwesenheit auf Social Media.

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Man wird bei jeder neuen Online-Registrierung vor die Frage gestellt, ob man den Social Log-In nutzen möchte oder sich ein Extra-Konto anlegen will. Schneller geht natürlich der Social Log-In, wodurch die Social Media Plattform wieder zahlreiche Nutzerdaten von dir bekommt.

Auch die aktuelle Datenschutz-Debatte um die Corona-App ist zwiespältig zu betrachten. Viele stehen der App sehr kritisch gegenüber, aber posten ansonsten wirklich alles von ihrem Leben. Hieran sieht man wieder hervorragend, dass die meisten das Thema Datenschutz noch nicht wirklich verstanden haben und noch einiges an Aufklärung fehlt.

Ist die Politik in der Pflicht über Datenschutzregelungen aufzuklären?

Das Thema Digitalisierung wird zunehmend wichtiger und im Durchschnitt ist dazu vieles noch nicht so bekannt. Ja, die Politik ist in der Pflicht über Änderungen usw. aufzuklären, allerdings sollte es auch zusätzlich regelmäßig unternehmensinterne Schulungen geben.

Trotz vieler Änderungen aufgrund der Corona-Pandemie ist es teilweise erstaunlich, wie gut tatsächlich alles bei den meisten Unternehmen funktioniert. Viele Unternehmer standen Themen wie Home-Office sehr reserviert gegenüber und wurden nun positiv davon überzeugt. Hier merkt man wieder den klassischen Trend zur „Deutschen Angst“: Bloß keine Veränderung und alles soll beim alten bleiben.
Auch bei Susanne im Unternehmen klappte alles während der Corona-Pandemie bisher hervorragend und es wird weiterhin ein hybrides Unternehmensmodell gefahren.

Blick in die Zukunft: Onlinehandel in 5 Jahren

Susanne denkt, dass sich in den nächsten Jahren der Fokus zu 100 % auf den Konsumenten legen wird. Auch im Convenience-Bereich wird sich sicherlich noch einiges tun, um das Einkaufserlebnis zu verbessern. Click-and-Collect sowie Same-Day-Delivery wird vermutlich Standard sein und eine vernünftige Kanalverknüpfung sowieso. Seamless Commerce und Voice Commerce sollten überall genutzt werden, um den Nutzern ein reibungsloses Einkaufserlebnis zu ermöglichen.

Auch im Battle zwischen Amazon und Google wird es spannend bleiben. In der Logistik muss noch einiges optimiert werden, aber auch die CO2-Problematik beim Retourenmanagement sollte stärker beachtet und verbessert werden.

Der Marktplatztrend wird wahrscheinlich anhalten, auch wenn er nicht für jeden Online-Händler möglich ist. Im B2B-Bereich wird sich bestimmt viel tun, aber es werden sich wohl immer beide Stränge, Marktplatz und Webshop, parallel nebeneinander entwickelt. Eine Verknüpfung verschiedener Kanäle ist natürlich der Optimalfall. Wünschenswert wäre ebenfalls mehr Diversifikation neben Amazon, gerade für Deutschland als Marktplatz. Amazon hat ja keinen Ursprung in Deutschland. Konzern Otto hingegen schon: Mit einem Ursprung in Hamburg gelten ganz andere Regularien und Einschränkungen.

Wie kann sich ein deutsches Unternehmen so entwickeln, dass es eine faire Chance gibt?

Die Frage ist mit einer Gegenfrage zu beantworten: Wieso muss sich Otto überhaupt mit internationalen Giganten wie Amazon vergleichen? Die einfache Lösung ist die Vergleiche zu stoppen. Jeder hat seine eigene Zielgruppe und muss den anderen Marktplatz nicht als Konkurrenz sehen. Eine Koexistenz ist die Lösung solange keine Kopien usw. gemacht werden. Man kann andere USPs sinnvoll nutzen, um sich selbst weiterzuentwickeln. Auch Otto muss für sich selbst gucken, wie das Unternehmen seine Ziele setzt und USPs schafft. Amazon tut für sich das gleiche, nur im Ausland.

Trotzdem kann sich Amazon anders aufstellen, da andere Regularien im Datenschutz sowie steuerpolitisch gelten. Jeder Händler muss in seinem Land wissen, welche Regularien herrschen und wie ich damit optimal arbeiten kann.

Fazit: Wenn‘s brennt, dann funktioniert‘s!

Wir haben bisher aus der Corona-Pandemie gelernt, dass Online hervorragend funktioniert. Wir waren alle stark darauf angewiesen und es hat uns ein Stück weit durch die Krise geholfen. Onlinehandel ist unsere Zukunft und damit wir können alle gestärkt aus der Krise kommen. Trotzdem sollte man selbstverständlich nicht die lokalen Läden in der eigenen Umgebung vergessen und im Online-Bereich auf faire Bedingungen achten.

Alle Themen im Überblick

  • Was sind Dauertrends in der Marktentwicklung der Digitalbranche? (4:20 min)
  • Wie steht Susanne zur aktuellen E-Privacy Verordnung? Sinnvolle Ergänzung der DSGVO, Erweiterung oder überflüssig? (6:05 min)
  • Gibt es aus Unternehmenssicht viel Nachholbedarf im Bereich Datenschutz und Digitalisierung? (12:57 min)
  • Ist Corona eine Gefahr, dass fast alles online ist und Retail wegbricht oder eine Chance? (17:05 min)
  • Sollte man zuerst Website oder Facebook-Seite aufbauen oder auf Amazon setzen? (24:20 min)
  • Datenschutz und Social Shopping: Problem für deutsche Online-Shops? (27:50 min)
  • Ist die Politik in der Pflicht über digitale Änderungen zu informieren? (30:50 min)
  • Blick in die Zukunft: Wie könnte der Onlinehandel in 5 Jahren aussehen? (35:27 min)
  • Wie sollten sich deutsche Unternehmen entwickeln, damit sie faire Chancen gegen internationale Giganten haben ? (38:50 min)