Interview mit Matthias Niggehoff – Verhaltenspsychologie, E-Commerce und Onlineshops

Heutiger Gast der mittlerweile schon 15. Folge des merchantday Podcasts ist Matthias Niggehoff. Er ist einer der bekanntesten Verhaltenspsychologen Deutschlands mit einem umfassenden Know-How auch im Onlinegeschäft. Mit seinem eigenen Podcast „Mehr Umsatz mit Verkaufspsychologie“ gelang ein unglaublicher Durchbruch seiner Karriere. Als Verhaltenspsychologe analysiert er, wie Menschen ticken, wie sie sich verhalten und vor allem warum. In Bezug auf die Themen Handel und E-Commerce fragt sich Matthias, warum kaufen die Kunden manchmal und warum auch nicht, wenn das Angebot objektiv sehr überzeugend wirkt. Warum geben manche Leute viel und andere wenig Geld für das gleiche Produkt aus?

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Oft wirken Handlungen und Verhalten von Menschen komplett irrational. Meistens kann man dem Verhalten aber auf den Grund gehen, indem man Emotionen und Motive fokussiert. Es geht bei der Verkaufspsychologie nicht darum, Leute zu einem Kauf zu drängen, sondern immer die Werte zu beachten. Kunden sollen nicht manipuliert werden, sondern es dem Kunden leichter machen, die Lösung in Form eines Produktes zu finden. Somit wird der Kunde positiv beeinflusst, sodass er schneller zum Ziel findet.

Wo zieht man die Grenze zwischen Manipulation und Beeinflussung im Sinne des Kunden?

Übersetzt heißt Manipulation so viel wie bewusste Beeinflussung. Für Matthias Niggehoff ist die Grenze zur Manipulation dann durchbrochen, wenn man Leuten ein Produkt aufschwätzt, was sie eigentlich gar nicht benötigen oder, wenn man ein schlechtes Produkt verkauft.

Frau vor PC wird von Inhalten beeinflusst

Auch, wenn die positive Beeinflussung für den Kunden sehr wichtig ist, geht es am Ende aber natürlich auch um höhere Umsätze und mehr Verkäufe. Oft stehen schnelle Ladezeiten oder SEO hier im Fokus, wobei der Mensch ganz vergessen wird. Beispielsweise ist es für Menschen häufig sehr überfordernd, wenn sie einer zu großen Auswahl gegenüberstehen. Dann wird der Kaufprozess oft abgebrochen. Beispielsweise Amazon kann man als Paradebeispiel für ein Überangebot an Produkten sehen.

Wie schafft es Amazon trotz unglaublicher Produktvielfalt dauerhaft zu überzeugen und so erfolgreich zu sein?

Amazon hat den Vorteil des spezifischen Targetings durch enorm viele Kundendaten. Außerdem befindet sich der E-Commerce-Gigant seit Jahrzehnten am Markt und legt seinen Fokus stark auf die Suchfunktion. Es geht weniger ums entspannte Stöbern als um die direkte Suche. Bei kleineren Onlineshops ist das natürlich etwas anderes. Dort gehen die Kunden meist eher über das Menü oder über Kategorien. Es muss einem immer bewusst sein, dass man mit seinem Onlineshop allerdings oft auch in indirekter Konkurrenz zu Amazon steht, da die Produkte im Zweifel ja auch bei Amazon angeboten werden. Der Käufer entscheidet sich dann, wo er tatsächlich kauft.

Wie gelingt es einem aus psychologischer Sicht, dass der Kunde im Onlineshop bleibt?

Hierzu muss man die Zielgruppe in seinen grundlegenden Motiven ansprechen. Im eigenen Onlineshop kann man hierbei viel individueller nach Motiven wie Anerkennung, Status, Harmonie, Familie oder Erfolg, gestalten. Man kann Kunden viel persönlicher in den tiefsten Werten ansprechen. Dies funktioniert bei Amazon nur sehr eingeschränkt über Texte und ein paar Bilder. Als Shopbetreiber hat man zudem die Möglichkeit über Farben usw. zu gehen. Sowohl Text als auch Optik und Struktur dahinter ist extrem wichtig.

Ein Beispiel für eine gezieltere Zielgruppenansprache z.B. bei Lidl ist die Umwandlung des Lidl Newsletter zum neuen Lidl Insider. So abonniert man nicht mehr nur einen Newsletter, sondern ist Teil der Lieblingsmenschen-Community von Lidl. Die Conversion Rate ging durch die Aktion hoch, da mit einem komplett anderen Framing gearbeitet wurde und die Ansprache viel persönlicher war. Der Framing-Effekt (deutsch: Rahmungseffekt) ist ein psychologischer Effekt, der bedeutet, dass unterschiedliche Formulierungen einer Botschaft – bei gleichem Inhalt- das Verhaltens des Empfängers auf unterschiedliche Weise beeinflussen können.

Ein wichtiger Aspekt auf dem man im eigenen Onlineshop zudem achten sollte, ist der sogenannte Preisschmerz. Psychologisch ist es nämlich so, dass Preisinformationen im Schmerzzentrum des Gehirns verarbeitet werden. Meistens kaufen wir ein Produkt, weil wir uns darauf freuen, obwohl Schmerzen vorhanden sind. Allerdings ist der Preisschmerz trotzdem einer der Hauptgründe, warum Leute ihren Kauf abbrechen. Es gibt verschiedene, sehr effektive psychologische Hebel, die dazu führen, dass Kunden trotzdem kaufen.

Top Tipps für weniger Preisschmerz

Gehirn mit leuchtender Zone, die für den Preisschmerz stehtDie beste Möglichkeit, um den Preisschmerz beim Kunden zu senken, ist die sogenannte Ankerheuristik. Hierfür genügt es vorher im Kopf des potenziellen Kunden eine größere Zahl zu verankern, damit der darauffolgende Preis dann gering wirkt. Hierbei geht es nicht um Schnäppchen-Frames wie durchgestrichene Preise. Beispielsweise könnte man bei einem 29€ teuren Film davor schreiben, dass der Film 120 min lang ist. Anschließend sollte dann erst die vergleichsweise kleine Zahl 29 erwähnt werden: „Der Film geht 120 min und kostet 29 Euro.“ Die 120 wirkt als Referenzwert teurer als die 29 Euro. Wenn die 120 zudem noch größer geschrieben wird, wirkt es als noch effektiverer Anker.

Den Ankereffekt kann man auch mit der Artikelnummer oder einer Grammzahl oder bei Verkaufsgesprächen nutzen. Auch bei den Preisen kann der Ankereffekt genutzt werden. Wenn man Preise z.B. mit zwei Nullen wie 99,00€ angibt, wirkt der Preis auf den Endkunden viel größer. Dies lässt sich alleine dadurch erklären, dass man vier statt zwei Ziffern sieht.

Preispsychologie: Wie sinnvoll sind krumme Preise?

PreispsychologieBei der Beantwortung dieser Frage sollte man immer nach Segment differenzieren. Zum Beispiel in einem Premiumsegment sollte immer mit glatten Zahlen gearbeitet werden. Bei anderen Segmenten hingegen können Kommazahlen glaubwürdiger wirken, da es wirkt, als wären die Preise exakt ausgerechnet worden.

Am wichtigsten ist jedoch, dass es am Ende bei dem zuerst angezeigten Preis bleibt, wenn der Kunde den Kauf abschließen möchte. Der Hauptgrund, warum Leute im Shop abbrechen, ist nämlich, dass plötzlich Kosten hinzukommen, mit denen vorher nicht gerechnet wurde. Das sollte dementsprechend in jedem Fall vermieden werden.

Farbpsychologie: Welche Farbe für welche Produkte?

Hierbei sollte man sich ganz klar an der Zielgruppe orientieren. Grün ist z.B. die optimale Farbe für eine sanftere Zielgruppe. Sie signalisiert, dass alles ist in Ordnung ist, Positivität und Harmonie. Grün sollte also nicht bei Kettensägen oder Grillzangen verwendet werden. Dort kann man hingegen gezielt auf Energiefarben wie Rot setzen. In jedem Fall ist es wichtig, dass immer ein Kontrast zu den wichtigen Funktionen besteht. Alles sollte gut erkennbar sein und keine ablenkenden Reize vorhanden sein. Ein häufiges Problem bei der Farbwahl bzw. Farbveränderung aufgrund psychologischer Erklärungen ist, dass viele Marken schon spezifische Farben vorgeben, die sie nicht ändern wollen. Sie wollen dann unbedingt genau diese Farben auch in ihr komplettes Marketingkonzept übernehmen.

Wie kann man dagegen ankämpfen als Verhaltenspsychologe?

Bei großen Konzernen ist es oft schwierig, da diese schon in ihren festen Strukturen verankert sind. Matthias Niggehoff setzt hierfür oft schon im Vertrieb einen Rahmen/ Frame, damit er nur mit Leuten zusammenarbeitet, die sich auch noch etwas sagen lassen. Man sollte immer direkt mit dem Kunden kommunizieren und ehrlich sein, indem man offenlegt, was wirklich funktioniert. Wenn der Kunde einem dann immer noch nicht glaubt, kann man auch einige Tests oder Umfragen machen und es darüber belegen.

Die optimale Zielgruppendefinition

Unabdingbar beim Überzeugen des Kunden ist es zunächst die Zielgruppe festzulegen. Matthias setzt hierbei im Gegensatz zu vielen anderen nicht über Personas. Personas sind sehr spezifische Zielgruppendefinitionen wie z.B. Hainz, Mitte 40, mag Fußball und Outdoor-Aktivitäten.

Zielgruppendefinition verschiedene Personen mit ihren Werten

Er hingegen geht viel mehr über die individuellen Hintergründe wie Werte und Motive: Was ist einem bei dem Produkt wichtig? Warum kaufen die Leute genau das Produkt? Spezifische Fragen verbunden mit Persönlichkeitsaspekten helfen hierbei oft weiter. Typische Fragen bei der Zielgruppenermittlung sind, warum genau Personen das Produkt gekauft haben. Antworten hierauf könnten z.B. Qualität, Top Service oder Ästhetik sein. Anhand dessen kann man schließend gut Trigger festlegen, wenn ein bestimmter großer Anteil das gleiche antwortet. Man kann es alternativ auch vorher selbst festlegen und überlegen, wo man das höchste Potenzial sieht. Das Alter ist bei der Zielgruppendefinition meist tatsächlich egal. Im Vordergrund stehen anschauliche Bilder, Texte, und Strategien, die auf die Zielgruppe ausgerichtet werden. Es gibt sogar Ansätze zum Hormonspiegel.

Wie kann man zwei unterschiedliche Zielgruppen parallel bedienen?

Man kann versuchen mehrere Zielgruppen zu kombinieren und jede abzuholen. Beispielsweise Qualität bei einem Dienstleister kann man mit dem Slogan „Messbar mehr Umsatz“ zum Ausdruck bringen. Dann erreicht man mit dem Wort „messbar“ einmal die Zielgruppe, die Wert auf Genauigkeit legt und mit „mehr Umsatz“, die die stärker auf Erfolg und Geld fokussiert ist.
Generell ist es aber meistens sinnvoller den Onlineshop oder die Produkte komplett auf eine Zielgruppe auszurichten. So kann man auch mit Produkttexten Leute emotional besser abholen, da man mehr in die Tiefe gehen kann.

Wenn man stattdessen über Personas geht, hat man das Problem, dass es oftmals am Ende doch andere Leute sind, die das Produkt kaufen, als die man vorher festgelegt hat. Relevante Zielgruppenteile werden dann ausgeschlossen. Die Arbeit mit Persönlichkeitseigenschaften ist dann sinnvoller, die man über das Profiling oder Psychographie herausfinden kann.

Dies klingt als ob der Schlüssel zum Erfolg mit der Fokussierung auf die Zielgruppe gegeben ist. Allerdings sieht man vermehrt bei beispielsweise chinesischen Firmen, dass diese ihre Produkte enorm gut verkaufen und teilweise sogar großen bekannten Marken deutlich überlegen sind. Schlechte Optimierungen, Produktbilder und vieles mehr prägen deren Seiten.

Wie lässt sich der Erfolg schlecht optimierter Seiten psychologisch erklären?

Auch hierbei kommt es wieder stark auf die Produkte an. Im emotionalen Bereich kann man mit einer Optimierung viel rausholen. Wenn man allerdings austauschbare Produkte verkauft, ist es weniger relevant perfekt optimiert zu haben. Dann werden nur selten Produktbeschreibungen gelesen oder auf Bilder geachtet. Es kann auch den Grund haben, dass Chinesen im Preiskampf Vorteile haben. Bei ähnlichen oder gleichen Produkten kaufen Leute oft einfach das günstigste Produkt. Auch generell bei Impulskäufen ist die perfekte Optimierung weniger relevant.

Auf Plattformen wie Amazon geht man oft mit einer bewussten Kaufentscheidung und insbesondere bei weniger erklärungsbedürftigen Produkten kauft man oft einfach impulsiv.

Achtung: Kulturelle Präferenzen beachten!

Die meisten Kunden von Matthias kommen aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Schon zwischen den relativ ähnlichen Ländern gibt es einige kulturelle Unterschiede und differenzierte Ansprachen. In der Schweiz muss beispielsweise sanfter vorgegangen werden als in Deutschland.

Oft werden bei der Zielgruppenansprache allerdings selten kulturelle Aspekte beachtet, sondern vielmehr pauschale Aussagen getätigt. Selbst auf lokaler Ebene lohnt es sich zu differenzieren. Dies merkt man schon zwischen Hamburg und Köln. In Köln sind Leute mit ihrer rheinländischen Art oft offener und lockerer als der Hamburger.

Top Fehler aus psychologischer Sicht bei Onlineshops

Fehler die Menschen aus psychologischer Sicht im Onlinehandel machen

Wie bereits oben erwähnt ist der Preisschmerz ein riesiger Faktor bei der Kaufentscheidung. Allerdings arbeiten nur die wenigsten gegen Preisschmerz und riskieren somit diverse Warenkorbabbrüche und lindern die Preisakzeptanz. Zudem ist die Ansprache an die Zielgruppe oft nicht emotional genug und viel zu sachlich. Aber auch die Bildsprache wird häufig unterschätzt. Vor allem menschliche Gesichter werden vom Gehirn schneller wahrgenommen als alles andere. Damit wird unbewusst Sympathie und Vertrauen aufgebaut.

Außerdem sollte man nicht zu viel Auswahl in seinem Onlineshop haben, wenn man keine anständige Struktur hat. Nur, wenn man verschiedene Kanäle und Strukturen hat, die den Kunden gezielt durch die Seite steuern, kann ein riesiges Produktportfolio überzeugen.

Zwei weitere Klassiker sind noch, dass die Bestellbuttons außerhalb des Sichtfeldes des Kunden sind und, dass die Seite nicht für Mobile optimiert wurde.

Umso teurer die Preise, desto wichtiger große Endgeräte – Stimmt’s?

Natürlich ist es wieder subjektiv, was für bestimmte Leute ein großer Preis ist. Zudem ist es auch wieder stark produktabhängig. Emotionale Impulskäufe werden eher mobile auf dem Handy getätigt. Insbesondere abends vor dem Schlafen sind diese besonders beliebt und gefährlich.

Fazit: Psychologische Kenntnisse als Schlüssel zum Erfolg.

Wie man merkt können einem psychologische Kenntnisse im Onlinehandel und E-Commerce wirklich weiterhelfen. Man kann das erlernte Wissen direkt auf seinen eigenen Webshop anwenden, um die Kundenzufriedenheit kurz- und langfristig zu steigern. Dabei beeinflussen wir die Kunden positiv und maniuplieren sie nicht. Somit wird sich der Umsatz dank gezielter Verkaufspsychologie schon bald erhöhen.

Alle Themen noch einmal im Überblick

  • Manipulation oder positive Beeinflussung? (5:01 min)
  • Wie kriegt Amazon es hin trotz unglaublicher Produktvielfalt zu überzeugen und so erfolgreich zu sein? (8:00 min)
  • Wie funktioniert aus psychologischer Sicht der Switch-Over in dem Shop, dass der Kunde im Onlineshop bleibt? (10:05 min)
  • Ankereffekt, um Preisschmerz zu lindern (16:30 min)
  • Wie sinnvoll sind krumme Preise? (20:05 min)
  • Welches ist die psychologisch richtige Farbe für meinen Shop oder mein Produkt? (23:45 min)
  • Wie definiert man am Ende am besten seine Zielgruppe? (29:20 min)
  • Unterschiedliche Zielgruppen parallel ansprechen, aber wie? (33:55 min)
  • Erfolg schlecht optimierter Seiten, wie ist das möglich? (39:10 min)
  • Top psychologische Fehler vieler Onlinehändler (48:15 min)
  • Umso teurer die Preise, desto wichtiger sind große Endgeräte. Oder nicht? (51:50 min)

Es lohnt sich auch in jedem Fall Matthias Niggehoff auf Xing und LinkedIn zu folgen und natürlich seinem Podcast zu folgen. So viele spannende Insights und direkte Anwendungsinspirationen sind in einer Welt voller Fake News mittlerweile eine echte Rarität.